Die USA stehen an einem regulatorischen Scheideweg. Mit dem Gesetzesentwurf H.R.1, eingebracht im Mai 2025, strebt der US-Kongress ein zehnjähriges Moratorium für KI-Gesetze auf Ebene der Bundesstaaten an. Das Ziel: Einheitlichkeit, Innovationsförderung und Entbürokratisierung. Doch diese föderale Zwangspause wirft nicht nur im eigenen Land grundlegende Fragen auf und sie ist auch für Europa von Bedeutung. Denn während die EU mit dem AI Act globale Standards setzt, droht den USA ein „verlorenes Jahrzehnt“ der KI-Governance.
US-Moratorium: Einheitlichkeit statt Vielfalt
Die USA argumentieren mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und regulatorischer Klarheit. Über 1.000 Gesetzesinitiativen zur KI wurden allein 2024 auf Ebene der Bundesstaaten eingebracht, viele Unternehmen beklagen einen Flickenteppich widersprüchlicher Regeln. Das Moratorium soll Innovation erleichtern und einheitliche Rahmenbedingungen schaffen. Befürworter sehen darin eine strategische „regulatorische Zurückhaltung“, vergleichbar mit dem Internet Tax Freedom Act.
Doch Kritiker warnen: Das Moratorium verhindert nicht nur staatliche Eingriffe in sensible KI-Anwendungen, sondern auch dringend benötigten Verbraucherschutz. Diskriminierung durch Algorithmen, Deepfakes, Betrug: all das bliebe auf Jahre unreguliert. Hinzu kommt ein demokratietheoretisches Problem: Der Kongress zwingt den Bundesstaaten Untätigkeit auf, ohne selbst klare Regeln zu schaffen.
Verfassungsstreit statt Vision
Rechtlich steht das Vorhaben auf wackeligen Beinen. Die sogenannte Byrd-Regel könnte das Moratorium im Senat scheitern lassen, da haushaltsfremde Inhalte in einem Budgetgesetz unzulässig sind. Zusätzlich drohen Klagen wegen Eingriffs in die Gesetzgebungshoheit der Bundesstaaten – ein Verstoß gegen den 10. Zusatzartikel der US-Verfassung.
Was Europa daraus lernen sollte
Für Europa bietet die US-Debatte eine wichtige Lehre: Die regulatorische Handlungsfähigkeit entscheidet über die politische Gestaltungshoheit im digitalen Zeitalter. Während sich die EU mit dem AI Act als Vorreiter positioniert, drohen die USA durch Inaktivität Einfluss zu verlieren – sowohl auf internationale Normen als auch auf die eigene Innovationsbasis.
Ein Jahrzehnt ohne flexible Antworten auf sich schnell entwickelnde Technologien könnte die gesellschaftliche Akzeptanz untergraben, KI-Märkte fragmentieren und letztlich dazu führen, dass Europa die globale Richtung vorgibt, nicht etwa das Silicon Valley.
Fazit: Wer nicht regelt, verliert
Das US-Moratorium ist Ausdruck politischer Unsicherheit. Es verspricht kurzfristige Erleichterung, könnte aber langfristig Vertrauen, Dynamik und globale Führungsfähigkeit kosten. Für Europa ist das eine strategische Chance und eine Mahnung, die eigene Regulierungsfähigkeit nicht als Hindernis, sondern als Standortvorteil zu begreifen. Denn wer in der KI-Welt keine Regeln setzt, spielt nach denen anderer.